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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Hrsg.]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 55.1919/​1920 (Oktober-März)

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Nr. 12 (19. Dezember 1919)
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Literatur / Notizen / Kunstmarkt / Versteigerungs-Ergebnisse
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https://doi.org/10.11588/diglit.29588#0286

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250

J. Meier^Graefes »Cezannne und fein KreiS'

möglicJi. Nidit einmal einen Einwand
möchte iA in objektiver Hinfidit für ftatt-
haft halten,- weil ein anderer Blickpunkt,
unter dem Zufammenhänge und Wert-
akzente notwendigerweife verfchoben er-
fcheinen müßten, vorläufig auf keine Weife
als hiitorifch richtiger darzutun fein kann.

Wohl aber verdient das Faktum, daß
hier ?ine Epoche zu ungunften aller
andern hervorgehoben und eine andere
fo gut wie ignoriert worden ift, der Kon-
Itatierung. Dem Autor ffellt fich jene als
Zentrum des Kreifes dar. Jüngeren Be-
urteilern muß hingegen gerade die unter»
fchlagene Epodie als die wefentlichfie, ja,
als der Schlüffel der ganzen Entwicklung
Cezannes erfcheinen,- und zwar vorwie-
gend aus dem fehr fiichhaltigen Grunde,
weil erfi in ihr der Meifter vollkommen
eigenartig und unvergleichlidi im Stil er-
fcheint <was bei einem Neugründer be-
fonders bemerkt werden wili), während
er in jener von Meier = Graefe betonten
Epoche nur als einer von vielen zu gelten
ein Recht hätte.

Die letzte Urfache des ganzen Problems
liegt in der zeitlidien Bedingtheit der LIr-
teile. Die Generation, der man angehört,
die beftimmend eingewirkt hat aufdasper»
fönliche Weltverhältnis, für deren Ideale
man gar tapfer und redlich gekämpft hat —:
die läßt fich nicht abfchütteln. Die Jugend,
welche keinFaden an die Vorausfetzungen,
wohl aber zahllofe Stränge an die Folgen
der Kunft der Franzofen feffeln, wird
immer eher geneigt fein, Cezanne an feinen
Früchten zu erkennen. Sie wird nicht in
der Lage fein, Einzelheiten der »von unten
her« aufgenommenen Vorftellung Meier»
Graefes als »falfch« abzutun,- wohl aber,
das Ganze als unbillig abzulehnen. So-
lange noch nicht an objektive hiftorifche
Einordnung und Melfung zu denken ilt,
folange wird fich an diefem gleitenden
Zuftande der Anfichten nichts ändern.

Über dem feffelnden Problem, von dem
zuerft die Rede fein mußte, ilt noch keine
Gelegenheit gewefen, der fundamentalen
Eigenwerte zu gedenken, die diefes Buch
mit den meiften desfelben Verfaffers, die
der jüngeren Kunftrichtung gewidmet find,

teilt. Sie find eigentlich die unerläßliche
Bedingung dafür, daß das fchöne Werk
auch textlich keine Gefahr läuft, von andern
aus feiner Stellung gedrängt zu werden.

Ob man den Unterbau folcher Arbeiten,
vielleidit nur, weil fie felbft fo wenig AuD
hebens davon machen, nicht gar zu fehr
überfieht, wenn man ihnen, wie es fo oft
gefchieht, die allzu perfönliche literarifche
Haltung vorwerfen zu dürfen meint? Mir
fcheint wenigftens, daß es wenige Bücher
über die Moderne gibt, die fo zuverläffig
auf dokumentarifchem Sockel ruhen wie
diefe. Meier=Graefe ift mit den Leuten,
die das Haupt, und den Stätten, welche
die Heimat der modernen Bewegung
waren, in nächfter Nähe umgegangen.
Seine Schriften find voll von der produk-
tiven Luft des Ateliers und dem heißen
aktiven Atem der Zeit. Auf Grund
feiner Autopfie, der Qualitätsempfindung
und ftupendes Gedächtnis zur Seite ftehen,
kennt er das kunfthiftorifche Material
wie kaum ein anderer. In einer Zeit,
die dem Gefchehen als beteiligter Teil
nodi fo befangen gegenüberfteht wie die
unfere, kann keine fogenannte methodifche
Objektivität den hiftorifchen Verpflicfu
tungen hinfichtlich der dokumentarifchen
Grundlagen beffer genügen als Meier-
Graefe das getan hat und tut, indem
er auf der Bafis vollkommenfter Sach-
kenntnis den lebendigen Zeitgeift und das
unmittelbare Verhältnis einer KulturgefelL
fchaft zu den für fie beftimmten Kunft-
werken fich in feinen ganz perfönlichen
Bekenntniffen literarifch kriftallifieren läßt.
Jedenfalls werden fpätere Epochen mit
Freuden na.ch folchen Quellen greifen —
fo etwa, wie wir (mutatis mutandis!) nach
Valari — wenn die prämaturen »hifto-
rifchen« Afpirationen längft keinen roten
Heller mehr wert find. Die Generation,
welche berufen fein wird, Cezannes wirk-
lidhe Wertfchöpfungen zu erkennen, wird
ein Bild feines Wefens, gefehen aus der
Perfpektive des Impreflionismus, mit keinem
geringeren Interelfe verfolgen, wie wir
eine Giottovorftellung aus dem Zeitalter
Cimabues verfolgen würden — wenn wir
eine befäßen! O. Hagen.
 
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